China-Restaurant

China-Restaurant

Auf der anderen Seite der Straße gibt es ein China-Restaurant. Dorthin lenke ich meine Schritte, manövriere sie durch die Eingangstür, schiebe sie über die rote Auslegeware, vorbei an den goldenen Plastiklöwen und dem grünlich schimmernden Aquarium mit den Fischen. Diese Fische! Ich bleibe immer wieder stehen, wenn ich daran vorbeikomme. Sie werden angemalt von einem chinesischen Angestellten, der zweimal die Woche kommt und dann stumm und diszipliniert in der wahren Konzentration des Zen mit einem langen Tuschepinsel feine Linien über die Fischleiber zieht, nachdem er vorher die bunte Grundierung aufgefrischt und mit wasserfestem Lack fixiert hat. Er braucht nicht lange dafür, einige gezielte Striche, kurzes Innehalten, Prüfen, aber nur der Form halber, denn er vermalt sich nie. Dann packt er seine Utensilien in die unscheinbare Tasche, nimmt seinen Lohn und geht zum nächsten China-Restaurant um Fische aufzufrischen.

Ich setze mich an einen Tisch in der Ecke, denn ich möchte sehen, wenn der Kellner kommt. Ich mag es nicht, wenn sie von hinten kommen, leise und verstohlen, und einem die mit braunem Kunstleder umschlagene Speisekarte geräuschlos unter den Armen hindurch auf den Tisch schieben. Wenn ich in der Ecke sitze, sehe ich den Kellner kommen, auch wenn er sich an der Wand entlang drückt, um mich doch noch zu überraschen. Das Lokal ist leer, bis auf mich und einige Bedienstete, die an der Wand, am Tresen, hinter der Durchreiche und zwischen den Tischen bewegungslos warten. Es ist völlig still. Nicht einmal die CD mit der wimmernden Chinafrau ist zu hören. Der Kellner reicht mir wortlos die Karte. Vielleicht ein Todesfall in der Familie oder im Aquarium, ein toter Hummer, der am Morgen mit den Scheren nach oben aufgefunden wurde. Ich wähle meine Speise aus und sage die Nummer. Während ich dem Kellner nachblicke, bemerke ich, dass auf der langen Reihe zusammengestellter Tische in der Mitte des Saales Essen steht. Es scheint warm zu sein, denn wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich den Dampf sehen. Nun fällt mir auf, dass die Bediensteten, die wie Statuen im Saal verteilt sind, unverwandt in Richtung dieser Tische schauen. Seit meinem Eintreten in das Lokal haben sie so gestanden und sich nicht von der Stelle gerührt. Es sieht aus, als ob sie warten, vielleicht auf eine Gruppe prominenter Gäste, die für heute Abend reserviert hat und sich nun verspätet. Filmstars, Regisseure, Kameramänner, die noch angetrunken von der Preisverleihung am Eingang der Festhalle stehen und reden und lachen unter ihren Regenschirmen. Wie eine Herde lustloser Kamele bewegen sie sich nur zentimeterweise von der Stelle. Es dauert lange, bis sie an der nächsten Straßenecke angekommen sind, dann bleiben sie erneut stehen um zu schwatzen und sinnlos zu lachen. Jemand macht dann einen Schritt in irgendeine Richtung, und die anderen folgen ihm nach wie Schafe, weil sie schon längst vergessen haben, wohin es geht. Es wird Tage oder Wochen dauern, bis sie nass und ausgehungert das Lokal erreichen und bis dahin wird das Essen auf den Tischen aufgehört haben zu dampfen. Es wird kalt und unansehnlich sein, die Soßen werden eine Haut tragen, der Reis wird stumpf und abweisend in den silbernen Schalen liegen, das Fett wird sich in Flocken an den Böden der Terrinen sammeln und der Tee wird bitter geworden sein. Die Kellner und Köche, der Geschäftsführer und der Lieferant, sie alle werden stumm auf ihren Plätzen stehen und die Gäste regungslos anschauen, mit Blicken, in denen kein Vorwurf zu lesen ist, nur Resignation und eine leise Leere.